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Vor der Grenze des Dunkels
Zu den Fotoserien von Michaela Bruckmüller

Astrid Kury

Michaela Bruckmüller beschäftigt sich mit der Dunkelheit. Im Fokus stehen Fragen nach dem Bildraum, wie er aus der Tiefe des Schwarzen heraus entsteht, und zur Fotografie als Lichtzeichnung – denn im Bild manifestiert sich das Dunkle erst durch das gezielt eingesetzte Licht. Michaela Bruckmüllers Kunst ist jedoch kein politisches Statement, in einer sich verfinsternden Gegenwart. Vielmehr ist sie dem tiefen Grund des Lebendigen zugewandt, seiner symbiotischen Verwobenheit und steten Verwandlung. Einem ökologisch-kulturwissenschaftlichen Crossmapping gleich und in einer unmittelbar fesselnden ästhetischen Umsetzung erhellt die Künstlerin, was auch im Dunklen geborgen ist.

Das jedes Licht absorbierende Schwarz erzeugt die Idee einer unendlichen Tiefe, aus der die Zeugnisse der Lebendigkeit farbig leuchtend hervortreten, greifbar scharf gezeichnete Motive sind es, wie herausgeschnitten aus ihrer Umgebung. Dadurch entsteht ein Eindruck von Zeitlosigkeit, ja Überzeitlichkeit, als Gegenwart des Mythischen – als das, was früher, jetzt und immer das Schicksal mit der inkommensurablen Kraft des Erzählens in rätselhafte Bilder übersetzt.

 

„verblühtes eingestrickt ins narrativ mit plötzlichem spielraum im dunkel“, so umschreibt Esther Kinsky in ihrem Gedichtband „Schiefern“ die Kristallbildung, und ebenso könnte diese Gedichtzeile Michaela Bruckmüllers fotografischer Arbeit gewidmet sein.

Mit Licht und Farbe erschließt sie einen überraschenden Spielraum im Dunkel und experimentiert dazu auch mit unterschiedlichen Oberflächen der belichteten Papiere: hochglänzend in der Serie der Giftpflanzen, die im flüssigen Spiegel der Dunkelheit aufleuchten (…sollst sanft in meinen Armen schlafen…, seit 2015). Und tiefsamtig bei den flechtenüberzogenen Zweigen und Aststücken, wo das Schwarze moospolsterig die strukturierten Oberflächen hinterfängt (Ordnungssystem, 2016/17). Bruckmüllers Fotografien evozieren eine haptische Qualität des Sehens, ein Berührenwollen, ein Erleben des Eintauchens, und diese Einbindung der gesamtkörperlichen Erfahrung setzt sie auch in ihren Displays ein, die, installativ zu jeder Fotoserie entwickelt, dazu einladen, auch die entsprechenden (Betrachtungs-)Perspektiven zu erfahren – nach unten wie auf Wasserflächen, in Boxen hinein wie in eigene Welten.

 

Das lebensstiftende Spektakel der Pflanzenwelt ist ein Hauptmotiv der Künstlerin. Pflanzen, deren Gehirnstränge im Verbund mit anderen Wesen im Finstern wurzeln und das Licht in nährende Stofflichkeit verwandeln. Seit der Neuzeit seien Pflanzen „eher das Aschenputtel unserer Aufmerksamkeit,“ konstatiert Barbara Frischmuth – aber in einer Welt ohne Fotosynthese, ohne den Atem der Pflanzen, hätte das Leben auf der Erde, wie wir es kennen, keine Chance. Man könnte die Pflanzen, Flechten und Pilze im Werk der Künstlerin auf diese Weise als Repräsentanten aus dem Dunkel der unüberschaubar langen Erdgeschichte, der Tiefenzeit sehen.

So legendär Flechten sind, langsam wachsend und extreme Umweltbedingungen überdauernd, so aufgeladen ist die Blüte, als Sinnbild der Entfaltung und Medium erfolgreicher Kommunikation mit anderen Wesen. Trotz ihrer ikonografischen und kulturhistorischen Fülle wird ihr kaum entsprechender Stellenwert im Kunstdiskurs beigemessen, von ihrer enormen ökologischen Bedeutung ganz zu schweigen. Es ist zu hoffen, dass die gegenwärtige Wende im Denken über Natur große Breite gewinnt und sich aufs Neue Respekt etabliert für das, was das Leben auf der Erde ermöglicht.

Diese Atmosphäre einer Gratwanderung, wie sie die Gegenwart kennzeichnet, speist auch die künstlerische Arbeit Michaela Bruckmüllers, die immer da ansetzt, wo etwas sich ins Andere zu wenden beginnt. Solches Changieren ist spürbar in den Portraits der feingliedrig transluzenten Blütenpflanzen, die tödliches Gift in sich bergen, das in kleinsten Dosen wiederum heilsam sein kann. Ebenso die Schönheit im Verwelken, inszeniert als fulminanter Abschied und Einfinden in einen Totentanz (Fade Away, 2016/17, Danse Macabre, seit 2016). Hier bricht die vielfarbige Lichtkraft von Tulpen, Ranunkeln, Narzissen, Lilien oder Amaryllis-Blüten zunehmend zurück in die samtig-dunkle Tiefe, während sich Blätter und Stiele ins Synkopische drehen.

 

„Vor dem Anfang war die Nacht“ heißt eine frühe Arbeit der Künstlerin, in der sie Präparate von Waldtieren als nächtliche Boten einer anderen Welt erscheinen lässt. Die Physiologie der menschlichen Wahrnehmung beruht auf zwei verschiedenen visuellen Rezeptorsystemen, und so erscheint im nächtlichen Sehen tatsächlich eine „andere“ Welt. Durch die physiologisch bedingte Farblosigkeit werden die Routinen des Tagsehens entkräftet, kaum noch beherrscht der Blick die Dinge, seine Souveränität der Distanz entschwindet. Zugleich nehmen Offenheit, Ruhe und Konzentration zu, Eindrücke, Erinnerungen oder Schmerzen werden intensiver. Mit all diesen Veränderungen durch das Dunkle arbeitet Michaela Bruckmüller, bis hin zum Freistellen vom Vertrauten durch den wertfreien Raum der Nacht.

In vielen Schöpfungsmythen steht am Beginn allen Seins die Finsternis. So wurde im Mythos aus der Ur-Nacht die kleine Nacht als Gegenüber des Tages erschaffen. Über sie herrscht die Göttin Nyx, der die Künstlerin ihre aktuelle Serie gewidmet hat. Einer mütterlichen Figur, die Schlaf und Tod als ihre Kinder am Arm trägt – unheimlich und furchterregend, fürsorgend und tröstlich. Mit NYX (2024) setzt Michaela Bruckmüller die Auseinandersetzung mit der Dunkelheit auf einer neuen Ebene fort. Sie arbeitet hier mit dem Schwarz traditioneller Trauertrachten, aus Kärnten und von der kroatischen Minderheit in Stinatz im Burgenland.

 

In NYX verbrachten die portraitierten Frauen viel Zeit im Stehen – mit den zahlreichen gestärkten Unterröcken, dem schweren Brokatstoffen und dem Dekor aus getrockneten Blumen hätten die Frauen gar nicht sitzen können, erzählt die Künstlerin. Das Stillhalten, Innehalten und die konzentrierte Dauer der Aufnahmen bewirkten eine besondere Gemeinsamkeit. Beim Fotografieren ist es völlig dunkel. Das Licht versickert regelrecht in der Dunkelheit, wenn nichts da ist, was es reflektiert, und es scheint flüssig zu werden, so beschreibt Michaela Bruckmüller ihre Erfahrungen mit ihrer Technik der Lichtmalerei. Dabei setzt sie die Lichtquelle in der Hand wie einen Pinsel ein und arbeitet Körperhaltung, Faltenwurf, Drapierung und Farben sowie Andeutungen der Umgebung aus der Finsternis heraus. Auf diese Weise ist die Künstlerin sogar selbst immer im Bild, wie sie sich um das Motiv bewegt. Die bis zu 15 min lange Belichtungszeit nimmt ihre Präsenz wohl ins Foto mit auf, nicht aber ihre Sichtbarkeit. Die vielen Lichtstriche entlang der Personen, ihrer Kleidung und Umgebung, all das fließt zusammen und synthetisiert sich zu einem Bild. – Ein Bild, das zugleich ein Bild ist für die Künstlichkeit der Fotografie, sagt Michaela Bruckmüller. Die Kraft der Fotografie liege nicht in der Dokumentation des Sichtbaren, sondern darin, dass sie das Unsichtbare festzuhalten vermöge.

 

Ihre Fotografien sind ein Versuch, das „Jetzt herauszunehmen“ und die Trachten in eine andere, ungreifbare und offene Situation einzubetten. Auch deshalb sind sie nicht in den Szenarien fotografiert, in denen sie früher getragen wurden, sondern in die neutrale Nacht versetzt. Auch schon in früheren Serien, etwa in einer Zusammenarbeit mit Frauen aus Oberösterreich (Schwarzer Vogel, flieg…, 2018), in der sie ihre schwarz-seidenen Flügelhauben trugen (die angeblich früher auch direkt mit Haarnadeln an der Kopfhaut befestigt wurden), stehen die portraitierten Frauen im Dunkel. Jedoch sind hier die Gesichter im vollen Licht, während die dunklen Schattierungen der Kleidung motivisch noch nachgereiht sind. Die Lichtmalerei der Serie NYX hingegen ist viel stärker inspiriert von den Nachtstücken der Kunstgeschichte ­– denken wir an Rembrandt, Rubens, Caravaggio, Velazquez, oder auch an George de la Tour, der die Darstellung der schwachen Lichtquelle einer Kerze dazu einsetzte, um die Figuren aus dem Dunkel partiell zu erleuchten und sogar aus sich heraus leuchten zu lassen. Diese wenigen hellen, mitunter sogar überhellen Lichtareale, kontrastreich umgeben von raumgreifenden Schattenzonen, die in das tiefe Dunkel ausfließen, kennzeichnen die im Barock zur Meisterschaft gebrachte Technik des Chiaroscuro. Sie diente vor allem der Schilderung der Dramatik des Heilsgeschehens, dem Ausdruck von Schmerz und Verzweiflung, vom Metaphysischen und Himmlischen.

 

In NYX klingt diese mythisch-metaphysische Aufladung des Hell-Dunkel mit an. Die Serie setzt eine kulturelle Tradition der Trauer und der Sorge ins Licht. Wenn ein junges Mädchen gestorben ist, wurde der Künstlerin erzählt, haben ihre Freundinnen den Sarg getragen. Die Trauerkleider – schwarze Röcke, schwarze Bänder und der traditionelle Blaudruck im Burgenland sowie buntfarbige Schürzen und Tücher in Kärnten – wurden über Generationen weitergegeben und sorgsam repariert, als Teil von Vergangenheit und Identität. Frauen haben diese Kleidungsstücke genäht, erhalten und gepflegt. Die Trachten wirken prächtig, aber manchmal sind es weniger die Materialien, die kostbar sind, sondern prächtig sind der Dekor und die aufwändige Herstellung. Dass, was die Frauen hatten, war Zeit, und die ist nun in die Trachten eingewebt und gespeichert. Dem entsprechend hat Michaela Bruckmüller auch die Fotografien als gespeicherte Zeit konzipiert, mit einem langsamen Ansammeln und motivischen Anreichern von Licht. Hiroshi Sugimoto ist das ikonische Vorbild für diesen konzeptuellen Zugang. Mithilfe extrem langer Belichtungszeiten machte er die Fotografie zum Speicher von vergangener Zeit und Erinnerung. In seiner bekanntesten Serie, Theatres, sind Kinobühnen mit einer strahlend weißen Leinwand zu sehen, die jedoch nicht nichts, sondern gleichsam den gesamten Film zeigt, als Summe des Lichts der Projektion.

 

„das erinnerte abwesende nimmt seine undeutliche gestalt in schichten an“, heißt es vergleichbar in „Schiefern“ von Esther Kinsky: „immer wieder neue belichtungen überlagern einander, immer wieder neue tonlagen, in denen der aus wachsender ferne gerufene name erklingt.“ Die stille Bewegung der Fotografin um die im Dunkeln sitzende Frau, die lichtgemalten Farbschichten, die die Spuren der Aufmerksamkeit als immaterielle Berührung nachzeichnen und als leichtes Flackern im Bild erhalten bleiben, ja das Bild wie ein Gemälde wirken lassen – all das bildet Schichten der Beziehung und der Interaktion.

„erinnerung als raum der abwesenheiten“: Das Arbeiten im Dunklen, das Herausarbeiten der Präsenz, die zeitintensiven Aufnahmen, die lange Ruhe und Konzentration der Portraitsitzungen, all das sind subtile künstlerische Formen zur Änderung von Blickrichtung und Betrachtungsweise. Als Hereinholen des anwesend Abwesenden. Um das Verletzliche und Berührende der Schönheit hervorzuheben. Schönheit ist nicht etwas, das sich im Nebenher erschließt. Man muss sich ihr bewusst zuwenden.

 

Esther Kinsky, Schiefern. Gedichte, Berlin 2020, S. 91.

Barbara Frischmuth, Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen, Wien 2021, S. 65.

Kinsky, Schiefern, S. 12.

Kinsky, Schiefern, S. 12.

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